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Home Stadium – Fans bleibt derzeit nur die Übertragung ihres Lieblingssports.
© JESHOOTS-com / pixabay.com

Geisterspiele im Profisport haben möglicherweise langfristige Auswirkungen

3. Dezember 2020

Bereits im März wurde der Profisport in den Ausnahmezustand versetzt. Fußballbegegnungen wurden vor leeren Zuschauerrängen ausgetragen, Sponsoren sprangen von ihren Verträgen ab. Die steigenden Infektionszahlen im Zuge der neuerlichen Ausnahmesituation haben dazu geführt, dass nun schon wieder gähnende Leere in den Stadien herrscht. Die Geisterspiele könnten möglicherweise langfristige Auswirkungen auf den Profisport haben, wenn der Ausnahmezustand zum Dauerzustand wird.

Sportfans wären zu vielen Kompromissen bereit gewesen

Sport gehört weltweit zum Kulturgut. Eine Gesellschaft ohne sportliche Wettbewerbe und Veranstaltungen rund um den Sport ist kaum vorstellbar. Und doch hat das Jahr 2020 nicht nur echte Sportfans vor ungeahnte Herausforderungen gestellt: Leere Ränge, abgesagte Spiele, eine Welle von Stornierungen und Ticketerstattungen und viel Unmut in den Reihen der Profisportler und ihrer Fans.

Dabei wären Akteure und Zuschauer bereit gewesen, viele Auflagen und Einschränkungen hinzunehmen, wenn der Sportsommer dafür in einem mehr oder weniger vertrauten Rahmen hätte stattfinden können. Das ergab eine Umfrage des Marktforschungsinstituts impact and emotions in Köln, auf die der Deutschlandfunk Bezug nimmt. Nur ein Viertel der Befragten gab ab, in der aktuellen Situation lieber auf einen Besuch im Stadion verzichten zu wollen. Vielmehr zeigte sich eine große Bereitschaft, sich Vorgaben und Beschränkungen zu beugen, die mit einem Stadionbesuch hätten verknüpft werden können. „Also, dass man auf den Alkohol verzichtet, zum Beispiel, ist überhaupt kein Problem“, erläutert Pierre Hatje die Ergebnisse der Studie, die er selbst leitete. „Da haben unglaublich viele gesagt: die leichteste Hürde, die sie sofort in Kauf nehmen würden. Mund-Nasen-Schutz war von mir erwartet worden, dass der sehr negativ sein würde. Aber auch da muss man sagen, die Hälfte der Leute würde sagen: Ist in Ordnung, dann ziehe ich eben das ganze Spiel über den Mund-Nasen-Schutz an, wenn ich dafür wenigstens ins Stadion kann.“

Doch trotz aller Kompromissbereitschaft spielten die Profisportler wochenlang vor leeren Rängen. Möglicherweise haben die Geisterspiele weitreichende Folgen. Experten prophezeien tiefgreifende Veränderungen für den Profisport als Wirtschaftsfaktor.

Ersatzstrategien machen die Zeit vor dem Fernseher angenehmer

Was Kritiker des Lockdowns im Profisport befürchten, ist gar nicht so abwegig. Viele Fans haben ihren Unmut über die Beschneidung ihrer Freizeitkultur genutzt, um Ersatzstrategien zu entwickeln, die auch den Fernsehsport zu einem Erlebnis machen.

Elektronisches Equipment für einen Hauch von Stadionatmosphäre hat beispielsweise in den vergangenen Monaten starken Absatz gefunden. Streaming-Gigant Sky versorgt seine Abonnenten bei Sportübertragungen mit einer separaten Tonspur, die echte Stadionatmosphäre ins Wohnzimmer bringen soll. Was zunächst auf Skepsis stieß, wird inzwischen gut angenommen. Als besonderes Trostpflaster gab Sky bekannt, mit der Wiederaufnahme des Ligabetriebs der Bundesliga am 16. Mai 2020 an den ersten beiden Spieltagen eine große Auswahl an Partien der 1. und 2. Bundesliga als Konferenz kostenlos im Free-TV und Live-Stream auf seinem Sender Sky Sport News HD (SSNHD) zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot konnte so manchen Sportfan davon überzeugen, dass eine Sportübertragung in Full HD auf dem großen Bildschirm mit einer ansprechenden Tonspur durchaus ihre Annehmlichkeiten hat.

Ein beliebter Ausgleich für die fehlende Stadion-Atmosphäre sind auch Live Sportwetten. Sie bringen zusätzliche Spannung in das Fernseherlebnis und vermitteln dem Zuschauer ein Gefühl von Dabeisein. Renommierte Sportwettenanbieter haben das Potenzial der aktuellen Situation erkannt und ihr Portfolio in den beliebtesten Sportarten erweitert. Auch so lässt sich die fehlende Stadion-Atmosphäre durch einen anderen Spannungsfaktor ausgleichen.

Experten warnen vor einer zu langen Aufrechterhaltung des Besucherverbots in Stadien. Sie befürchten, dass Ersatzstrategien sich bei den enttäuschten Fans bereits mittelfristig so stark etablieren könnten, dass das Interesse am Stadionbesuch nachhaltig verloren geht.

Profisport fürchtet dauerhaften Verlust von Fans

„Und am Samstag dann ins Stadion“ – Für eingefleischte Fußballfans sind einige Termine fest für ihr Hobby reserviert. Und wenn dieses Hobby auf unbestimmte Zeit stillgelegt wird? Die freie Zeit möchte trotzdem gefüllt werden, damit sie weiterhin Qualitätszeit bleiben kann.

Genau da liegt das große Risiko für den Profisport verborgen. Wenn die Fans nun gezwungen sind, die Zeitfenster, die sonst dem Fußball oder einer anderen Sportart vorbehalten waren, für Alternativen zu öffnen, kann es schnell zu einer Interessensverschiebung kommen. Vielleicht rückt gemeinsame Familienzeit jetzt stärker in den Fokus, weil die Kernfamilie der Personenkreis ist, der mit dem risikolos weiterhin Kontakt bestehen darf. Vielleicht entdeckt so mancher seine Leidenschaft für den Individualsport wieder oder widmet sich einem anderen Interessensgebiet, das zu lange in den Hintergrund gerückt war.

Haben sich neue Interessen erst einmal ausreichend etabliert, könnte es für den Profisport schwierig werden, sich die bereits wieder gefüllte Lücke zurückzuerobern. Eine längere Zwangspause könnte die Branche nachhaltig verändern und Verluste einfahren, die über Jahre hinaus spürbar bleiben.

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Gähnende Leere auf den Rängen.
© planet_fox / pixabay.com

Keine Gelegenheitsfans ohne Gelegenheit

München hat weitaus mehr zu bieten als den FC Bayern und die Allianz Arena. Dennoch ist der Sport und insbesondere der Fußball ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Region und deutschlandweit. Dabei sind es nicht allein die Dauerkartenbesitzer, die die wichtigen Einnahmen in die Kassen der Veranstalter spülen. Pierre Hatje verweist im Gespräch mit dem Deutschlandfunk auf die so genannten Gelegenheitsfans, die von der aktuellen Situation besonders stark betroffen sein könnten. Ihnen fehlt die tiefe Verbundenheit zum Verein.

Dem Gelegenheitsfan genügt es, sich die Zusammenfassung des Spieltages in der Sportschau anzusehen. Der Besuch im Stadion ist für ihn ein Highlight, auf das er im Ernstfall verzichten kann. Dabei sind es gerade die Gelegenheitsfans, die die breite Masse der Stadionränge zuverlässig füllen. Sie unterliegen einer starken Fluktuation, sind den Dauerkartenbesitzern als Wirtschaftsfaktor aber zahlenmäßig stark überlegen. Sollen sie der Branche nicht dauerhaft verloren gehen, müssen sich die Veranstalter bereits jetzt etwas einfallen lassen, um das Interesse der Gelegenheitsfans an ihren Events wachzuhalten.

Profisport könnte für Sponsoren unattraktiver werden

Ein weiterer kritischer Punkt sind die Sponsorenverträge. Die Win-Win-Situation im Sponsoring funktioniert nur, wenn die Besucherränge im Stadion immer gut gefüllt sind. Sitzt niemand im Publikum, auf den ein Werbebanner wirken kann, gehen die Sponsoren leer aus. Wie stark sich die Einschränkungen im Profisport bereits auf die wirtschaftliche Beziehung zu Investoren auswirkt, zeigen gerichtliche Auseinandersetzungen, in denen es um einen Rücktritt vom Vertrag und Entschädigungszahlungen geht.

So wurde der Fußball-Zweitligist SC Paderborn unfreiwillig zum Hauptakteur in einem Präzedenzfall, über den unter anderem das Westfalen-Blatt berichtete. Der Verein hatte darum gebeten, die Schadenersatzforderung eines Sponsors im Zusammenhang mit den wenig werbewirksamen Geisterspielen mit einem Gutschein abgelten zu dürfen. Das Landgericht Paderborn entschied allerdings, dass der Schadenersatz direkt auszubezahlen ist. Dadurch ist dem Zweitligisten ein enormer wirtschaftlicher Schaden entstanden, der kein Einzelfall bleiben dürfte.

Werden die Beschränkungen im Profisport noch lange aufrechterhalten, könnte die gesamte Branche für Sponsoren und Investoren an Interesse verlieren und damit wirtschaftlich aufs Abstellgleis geraten.

EM 2021: Vier mögliche Szenarien – Geisterspiele inklusive

In Anbetracht der heiklen Lage im Profisport rückt die EM 2021 zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses. Ein Turnier der Superlative vor leeren Zuschauerrängen scheint undenkbar, und doch hat die UEFA bereits vier mögliche Szenarien entwickelt, die auch die Option der Geisterspiele nicht ausschließen.

Spätestens am 5. März 2021 soll festgelegt werden, welche der zwölf geplanten Spielstätten mit Zuschauern bespielt werden können. Im ersten Szenario geht die UEFA davon aus, dass sich die Situation bis zum Anpfiff der ersten Begegnung soweit normalisiert hat, dass alle Begegnungen vor vollen Zuschauerrängen ausgetragen werden können. Im zweiten Szenario sind ebenfalls bei allen Spielen Zuschauer erlaubt, allerdings mit einer Stadionauslastung von 50 bis 100 Prozent. Das dritte Szenario sieht Zuschauerzahlen mit einer Auslastung von etwa einem Drittel der Stadionkapazitäten vor. Erst auf Platz vier rangiert ein Szenario, das sich im Augenblick noch niemand vorstellen möchte. Darin spielen die Nationalmannschaften nämlich das gesamte Turnier vor leeren Rängen. Eine Geister-EM ist schaurig, aber nicht ausgeschlossen.

Autorenprofil:
Mirco Wendlandt hat Sportwissenschaften studiert und war bereits während des Studiums als freischaffender Sportredakteur tätig. Während eines einjährigen Auslandsaufenthaltes in Brisbane beschäftigte er sich vor allem mit Thema Sport als kulturelles Gut und wesentliche Aspekt des Lifestyle.


Weiteres in der Rubrik Sport und auf der Seite Sport.